„Abschiebung ist Verbannung!“

2.3.2011

 

Norbert Mappes-Niediek war unser Gast im gut gefüllten Café Grotemeyer. Seine differenzierten und profunden Ausführungen zur Historie und aktuellen Situation der Roma in Südosteuropa sowie seine Darstellung der politischen Rahmenbedingungen hatten ein konzentriertes Publikum. Dank an ihn, an den Moderator Günter Benning und an Café Grotemeyer sowie an den Spender, der den Großteil der Kosten übernommen hat!

 

Mappes-Niedieks Buch zu Roma in Europa wird leider erst im nächsten Jahr erscheinen. So lange müssen wir uns mit seinen scharfsinnigenKommentaren in der FR begnügen. Hier zwei Auszüge daraus:

 

„Nach offizieller Lesart soll das Kosovo wie alle Balkanstaaten an die Europäische Union ‚herangeführt‘ werden. Dass man sich damit auch Probleme und historische Belastungen einkauft, ist den politisch Verantwortlichen im Prinzip klar. Entweder schließt die Heranführung die Bereitschaft der Europäer ein, die Probleme des Ostens lösen zu helfen, oder die ganze Beitrittsperspektive ist bloß die Karotte, die man dem Pferd vorhält, um es ein Stück in die richtige Richtung zu bewegen. Soll der Balkan zur EU kommen, wird er seine Roma wieder mitbringen. Spätestens dann ist es mit Europas Abschiebepolitik sowieso vorbei.

Nähme Berlin seinen Anspruch ernst, müsste es für die Bürger des Kosovo die Grenzen öffnen, statt es als gut verlöteten ethnischen Mülleimer zu missbrauchen. Deutschlands Balkanpolitik begibt sich mit dem ‚Rückführungsabkommen‘ auf das moralische Niveau der südafrikanischen ‚Homeland‘-Politik in den 1970er Jahren: Man erfindet Staaten, um Menschen dorthin entsorgen zu können. Für die meisten Abschiebungskandidaten ist schon die Zuordnung zum Staat Kosovo reine Willkür. Sie haben von dort keine Papiere, sprechen die Sprache nicht und werden, wenn sie nicht zufällig mit Geburtsurkunden der Eltern und Großeltern aufwarten können, auch dessen Staatsbürgerschaft nicht bekommen. Roma gehören, so die Botschaft, weg - möglichst irgendwo nach Osten.

Pate bei dem sauberen Abkommen steht die Hoffnung, Deutschland möge vom Schmutz und Elend des Balkan rein bleiben. Das Gegenteil wird eintreten: Beim Versuch der Säuberung beschmutzt man sich selbst - eine Erfahrung, die gerade die Balkan-Gesellschaften gemacht haben.“

 

„Eigentlich wäre das vereinte Europa eine Chance für die Roma. In die Kategorien, wie Nationalstaaten sie bieten, passen viele von ihnen schlecht hinein; sie sind weder ‚ethnische Minderheit‘ noch Staatsbürger wie alle anderen auch. Auch wenn die meisten sesshaft sind, kleben sie doch an keiner ‚Scholle‘ und besuchen Verwandte überall auf dem Kontinent. Damit sind aber auch sie eine Chance für Europa. Die ständige Abstimmung zwischen Grundsätzen und Toleranz, die sie verlangen, können wir für die Zukunft gut gebrauchen.“

 

Einen Bericht der WN finden Sie als JPG-Download hier.

 

Nachtrag August 2012:

Das erwähnte neue Buch von Norbert Mappes-Niediek ist erschienen:

Arme Roma, böse Zigeuner

Mappes-Niediek korrigiert darin faktenreich, aber gut lesbar, auch gut gemeinte Vor- und zu kurz bedachte Urteile. Worauf seine scharfsinnige Analyse hinausgeht, illustriert ein Zitat aus dem letzten Kapitel:

„Statt sich über die kulturellen Eigenarten der Roma den Kopf zu zerbrechen, müsste man sich vielmehr fragen, was beim Übergang zur Marktwirtschaft falsch gelaufen ist, wenn Kinder abends hungrig ins Bett gehen müssen. [...] Wenn sie von Roma nichts wüsste, würde die Europäische Union keine Roma- sondern Sozialprogramme auflegen. Es gäbe keine ‚Roma-Dekade‘, sondern ein Zehn-Jahres-Programm zur Bekämpfung der Armut. Kein Roma-Beirat beim Europarat wäre mit dem Problem befasst, sondern eine Art Armuts-Task-Force, die wahrscheinlich keine Sonderfonds verlangen, sondern vergleichsweise revolutionäre Forderungen stellen würde. Bettelei wäre kein Gegenstand der Kulturforschung, sondern das Thema einer Sozialdebatte. [...] Die Roma eignen sich dazu, ihren Volksnamen an eine ganze Reihe von anderen Problemen zu verleihen: an das Armutsproblem, die Arbeitslosigkeit, die Verödung des ländlichen Raumes durch Vernachlässigung der Infrastruktur, an das ausgehungerte Bildungs- und das fehlgesteuerte Gesundheitswesen, die defekte Demokratie und das prosperierende organisierte Verbrechen. Für die meisten der Probleme gibt es Ideen und Konzepte. Sie sind lösbar. Nur das ‚Roma-Problem‘ ist nicht lösbar. Das macht es so beliebt.“

Sehr zu empfehlen!