5.9.2009
Zwei rote Sofas mitten in der Fußgängerzone, auf ihnen ständig wechselnde Besetzung. Viele Münsteraner, darunter auch Lokalprominenz aus Kultur und Politik, nutzten die Fotoaktion „Schnappschüsse für ein Bleiberecht" am 5. September 2009 zur öffentlichen Solidarisierung mit den 302 umittelbar von der Abschiebung bedrohten Roma aus Münster.
Zu der Veranstaltung aufgerufen hatten die GGUA Flüchtlingshilfe, die Asylgruppe Münster von Amnesty International und die S.O.S. Rroma-Initiative Münster. Der Andrang war gewaltig. Trotz vieler kurzer Regenschauer und reichlich kühler Windböen bildeten sich immer wieder Warteschlangen. Die beiden Fotografinnen Luciana Ferrando und Ulrike Löw – alle Fotos sind von ihnen – fotografierten quasi im Akkord.
Die anwesenden Roma hatten trotz gedrückter Stimmung sichtlich Freude, sich in wechselnder Besetzung mit ihren Solidarisierern ablichten zu lassen. Häufig ergaben sich während des Shootings Gespräche zwischen den fotografierten Personen, die dabei völlig vergaßen, das Sofa wieder zu verlassen, während vor ihnen bereits die nächsten Fotografierwilligen warteten. Zahlreiche SolidarisiererInnen hatten sich bereits vorab zur Aktion angemeldet, doch auch viele Passanten, die zufällig vorbei kamen, entschieden sich spontan zu einem Unterstützerfoto und informierten sich anschließend an den Ständen von GGUA und Amnesty International.
Abseits des Fotoshootings berichteten viele Roma von ihren Ängsten, für einige von ihnen läuft die Frist, bis zu der sie sich zu ihrer „freiwilligen" Ausreise geäußert haben müssen, bereits in 10 Tagen ab. Sie können nachts kaum noch schlafen, drei Roma sind bereits mit Nervenzusammenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert worden. Einer hat vor Angst seine Stimme verloren und kann sich seit Tagen nur noch flüsternd verständigen. Alle befürchten, unmittelbar nach Ablaufen der Frist mitten in der Nacht abgeholt und in ein Flugzeug gesetzt zu werden.
Die Solidarität der übrigen Münsteranerinnen und Münsteraner bedeutet den Roma viel. Ali Deli, einer der Sprecher der Rroma-Initiative Münster, betonte: „Wir haben uns NRW-weit informiert und wissen, dass Münster etwas besonders ist. Nirgendwo sonst gibt eine so große öffentliche Unterstützung für Roma wie hier, und dafür möchten wir uns ganz herzlich bedanken!" In Zukunft möchte sich die Rroma-Initiative mit anderen Roma-Organisationen in Nordrhein-Westfalen vernetzen, um die Proteste auch auf ihrer Seite systematisch auszuweiten. Auch die übrigen Mitwirkenden der Aktion 302 bieten ihr Knowhow ausdrücklich anderen Gemeinden zur Unterstützung an, damit dort ähnliche Solidaritätsveranstaltungen stattfinden können.
„Es war unsere Traumvorstellung, genau 302 Unterstützerfotos zusammen zu bekommen. Die symbolische Zahl: Für jeden unserer Roma einen Unterstützer. Aber wir haben nicht zu hoffen gewagt, dass es klappt", erzählen die beiden Fotografinnen, „Als wir 200 Fotos zusammen hatten, waren wir schon glücklich." Ab dem 260. Unterstützerfoto begannen auch die anwesenden Roma mitzufiebern, ob die magische Zahl noch erreicht werden konnte. Um 17.10 Uhr, zehn Minuten nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung, war es dann geschafft, und bei den Roma wie auch bei den übrigen Aktion 302-Aktivisten brach Jubel aus. „Sehr gute Aktion", freuten sich die Roma-Sprecher Ali Deli und Semsij Abdullahu.
„Nach der Aktion ist vor der Aktion", resümiert GGUA-Mitarbeiterin Ulrike Löw, „So erfolgreich diese Aktion auch war: Die drohende Abschiebung der Roma ist deshalb nicht abgewendet. Wir machen weiter."
„Nach den Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung sollten wir eigentlich gelernt haben, dass Abschiebung unmenschlich ist.“
“Wir kennen die Romakinder seit 1 ½ Jahren (Schulaufgabenhilfe). Es wäre schlimm, wenn sie Deutschland verlassen würden. Wir mögen sie!”
Kaya Valérie Dijena Doumbouya, Gmnasiastin:
“Wir kennen die Romakinder sehr gut und mögen sie sehr gern. Sie müssen auf jeden Fall bleiben!”
Clara Pauline Bönisch, Gymnasiastin:
“Wir kennen sie sehr gut und verstehen uns sehr gut mit ihnen. Wir haben zwei Jahre lang viel mit ihnen gemacht und möchten, dass sie bleiben!”
Henrike Steiner, Studentin Volkswirtschaftslehre:
“Der Zusammenhalt der Völker und die Sicherheit aller muss unterstützt werden!”
„Roma in den Kosovo abzuschieben ist unmenschlich!! Ich habe viele Jahre mit Roma ehrenamtlich gearbeitet und wunderbare Familien kennen gelernt. Ich war auch oft wütend über andere Familien, die ihren Kindern den Wert von Schulbildung weder vorlebten noch vermittelten, obwohl wir unentgeltliche Schulaufgabenhilfe angeboten haben. Aber trotzdem, Abschiebung ist und bleibt unmenschlich!“
„Es sollte ein Menschenrecht sein, gewaltlos aufwachsen zu können, genug zu essen zu haben, medizinisch versorgt zu werden, seine Kinder in Frieden aufwachsen zu sehen ....Doch das ist nicht das, was diesen Menschen bevorsteht, wenn sie in den Kosovo zurückkehren müssen! Deshalb bin ich gegen die Abschiebung! Denn: Wenn wir nicht das "Glück" gehabt hätten, deutsche Staatsbürger zu sein, wären wir es vielleicht, die zu einer Minderheit und dadurch unterdrückter Menschen gehören würden!"
„Ich schäme mich. Ich bin Jahrgang 1940. Der deutsche Staat, in den ich hineingeboren wurde, hat per Gesetz Juden, Roma u. andere in Lager und in den Tod geschickt. Wir erkennen das heute als Unrecht. Trotzdem werden Gesetze erlassen und deren Umsetzung verfügt, die gegen Menschenrechte verstoßen. Wir müssen Widerstand leisten!!! Keine Partei, keinen Politiker wählen, der diesem Gesetz zugestimmt hat!!!“
„Ich bin generell dagegen, Menschen gegen ihren Willen auszuweisen, noch dazu, wenn es sich um Roma handelt, die im Kosovo mehrfach diskriminiert und gefährdet sind. Auch die Dauer des Wohnens in der Bundesrepublik ist zu beachten. Über 10 Jahre! Auch die hier geborenen Kinder dürfen nicht in den Kosovo zurück. Es wäre unmenschlich.“
„Ich finde es wichtig, dass die Menschen nicht ausreisen müssen. Sie haben sich hier ein Leben aufgebaut. Deutschland ist ein freies Land und jeder soll hier leben können und glücklich sein. Warum haben sie weniger Recht hier zu leben als Menschen, die sich deutsch nennen? Dafür möchte ich mich einsetzen. Deshalb lasse ich mich fotografieren.“
„Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch frei hier in Deutschland leben können. Besonders diese Roma-Familien sollten nicht zu einer „freiwilligen“ Ausreise gezwungen werden, um in ein Land (zurück)gehen zu müssen, in dem sie bei unter null anfangen müssen, ihre Freunde verlieren/Arbeit/Nachbarn oder gar politisch verfolgt werden. Das geht gegen die Menschenrechte!"